Figürliche Darstellungen waren offenbar lange Zeit ein Problem in der Kunst – entweder waren sie aus religiösen Gründen verboten oder sie waren nicht üblich. Archeologisch betrachtet scheinen figürliche Darstellungen eine eher europäische Form früher Zeichnungen gewesen zu sein, jedenfalls fand man erste primitive Darstellungen praktisch nur in Gegenden der europäischen Eiszeit. Es handelt sich dabei um Mischwesen aus Tier und Mensch und erste Darstellungen des weiblichen Körpers, kleine Statuetten (Venus-Figurinen, wie die Venus von Willendorf in Oberösterreich oder die Venus von Vestonice). Die Darstellungen des weiblichen Körpers vor ca. 35.000 Jahren waren üppig mit Betonung der Geschlechtsmerkmale, oft aus Stein oder Knochen oder Mammutelfenbein hergestellt. Auf die Gestaltung der anderen Körperteile wurde kein Gewicht gelegt, erst später zeigen Funde etwas mehr Details. Da der „Neandertaler“ vor ca. 30.000 aus nicht geklärten Gründen ausstarb, stammen die ersten Bilder vermutlich von der Parallelentwicklung des Neandertalers – des homo sapiens, dessen kognitive Fähigkeiten deutlich höher waren, was auch bildlichen Abbildungen zugute kam. Trotzdem hatte die Abbildung menschlicher Körper in erster Linie Kultcharakter.
Erst im antiken Griechenland findet man körperliche Darstellungen als eigenständige Kunstformen (Skulpturen und Zeichnungen). Nacktheit diente zur Hervorhebung des menschlichen Körpers, war in den Folgejahrhunderten im Mittelalter und später jedoch nur dann erlaubt, wenn sie in religiösen Bildern erforderlich war. Allerdings gab es Fresken bei denen Nacktheit früher retuschiert werden musste. Bei Leonardo da Vinci und Albrecht Dürer gibt es dann erste Aktstudien von Teilen des Körpers. Seit dem 19. Jahrhundert gibt es (fast) keine Einschränkungen mehr. Trotzdem war vermutlich Paula Becker-Modersohn die erste Malerin, die ein Selbstbildnis völlig nackt gestaltete.
Figürliche Darstellungen heute
Heute gibt es in den bildenden Künsten bekanntlich keine Tabus mehr – das macht figürliche Gestaltungen allerdings nicht unbedingt leichter – im Gegenteil, sowohl bei Skulpturen, als auch in der Malerei müssen neue, manchmal als „übertrieben“ empfundene Ideen realisiert werden, um in der Kunstszene bestehen zu können. Die Fotografie hat es aus Sicht des Autors „leicht“ und „schwer“ zugleich. Leicht, weil sich viele FotografInnen der Gebrauchsgrafik für Kameraführung im Filmgeschäft, Werbedesign, Tagesberichterstattung und Modefotografie widmen können (wobei gute Gebrauchs-Fotografie künstlerisch nicht unterschätzt werden darf). Schwieriger ist das Finden und die Umsetzung wirklich künstlerischer Einfälle, weil die reale Nähe zum Körper gerade wegen dieser Realität ein besonderes Können verlangt.
Die Computergrafik (bei welcher fast alles „möglich" erscheint) weist deutlich weniger Anwendungsmöglichkeiten auf. Eine der vielseitigsten Möglichkeiten besteht in der Herstellung computeranimierter Filme oder Spiele, der Werbegrafik oder in den vielseitigen Möglichkeiten von Retuschetechniken bei Modefotografien.
In den Folgebeiträgen dieser Edition wird ein anderer Weg beschritten, wobei jedem freigestellt ist, einen künstlerischen Wert abzustreiten.
Was in der Malerei keine besondere Heraufforderung darstellt, ist für die Computergrafik oft schwierig. Werden Digitalfotos verwendet, so sind die Bearbeitungsschritte (die an anderer Stelle beschrieben werden) meist recht zahlreich, um sich von einer allzu fotonahen Darstellung möglichst zu entfernen. Die Technik mit manipulierten Scans am „lebenden Objekt“ die ich bei Gegenständen oft anwende, lässt sich begreiflicherweise nur bei kleinen figürlichen Objekten (z.B. Hände) realisieren – ich bin daher also meist auf Digitalfotos angewiesen.
(22.9.2015)