Dr. Alfred Rhomberg, Chemiker, Künstler und Publizist

 

geb. 1936, Hannover

 

Mittelschule: 1946 -1954 Innsbruck (Bundesrealschule)

Studium: Chemie, Nebenfächer: Mineralogie, Philosophie, Psychologie an der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck, prom. 1963

 

Pharmaforschung 1963 - 1965 als Hochschulassistent an der Universität Innsbruck, 1965-1966 Royal Dutch Shell, 1966 -1994 Pharmaforschung bei Boehringer Mannheim GmbH (heute Roche Diagnostics)

 

1996 Rückkehr nach Igls

 

Iglerstraße 47/13
6080 Igls

leerer Rahmen - © Alfred Rhomberg

 

 

(Der nachfolgende Text wurde den "Igler Reflexen" entnommen und dort gelöscht)

 

 

 

 

Die Erfindung der Abstraktion

 

Es bedurfte nur ein ganz klein wenig Phantasie, um sich in den leeren schwarzen Rahmen etwas hineinzudenken, jedenfalls genoss die Phantasie ihre Fähigkeit – im Gegensatz zu ihren Freundinnen und Freunden – diese Kunst zu beherrschen. Gleich morgens stellte sie sich ofenfrische Croissants, während des Vormittags ein Glas Champagner, zum Mittagessen ein 5-Gang-Menu à la Bocuse vor und am Nachmittag würde sie dann weitersehen – das würde von der Qualität des zum 5-Gang-Menu servierten Weines aus dem Hause Château Mouton-Rothschild abhängen. Was sie sich für den Abend bzw. der Nacht vorstellte, damit wollte sie nicht öffentlich renommieren.

 

Es liegt in der Natur – nicht nur ihrer phantasielosen Freundinnen und Freunde, dass sich die Phantasie dem stetig wachsenden Druck sich zu übertreffen unterlag. Gegen die Croissants am Morgen war nichts einzuwenden (diese waren auch nicht zu verbessern), beim Vormittags-Champagner konnte sie sich Produkte einer edleren Provenienz vorstellen und das Mittagessen ließ sich bequem auf ein 6-Gang, später 7-8 Gang Menu erweitern und beim Rothschildwein konnte das Alter der Jahrgänge fast beliebig heruntergesetzt werden, solange jedenfalls, bis der Wein nicht mehr schmeckte, sondern nur noch extrem teuer war. Der Preis der Weine war es nicht, der die Phantasie nachdenklich machte, immerhin war ihre Vorstellungskraft groß genug, sich nahezu alles leisten zu können und gerade diese Fähigkeit war es nun, die ihr Sorgen machte. Irgend eine psychologisch versierte Freundin erzählte ihr vom Weber-Fechner’schen Gesetz, nach welchem Reiz und Empfindung sich nicht linear sondern exponentiell verhielten – mit anderen Worten, um noch etwas mehr zu empfinden, musste der auslösende Reiz immer größer werden um überhaupt noch irgend eine Steigerung zu spüren. Zwar war die Phantasie noch im sogenannten „grünen Bereich“, wie ihre Freundinnen und Freunde etwas trivial zu sagen pflegten, wenn die Dinge ordnungsgemäß verliefen – aber würde das immer so bleiben? Der nun folgende Prozess wird in der Kunstgeschichte meist etwas verzerrt dargestellt und die Phantasie als Erfinderin der Abstraktion in keinem Lehrbuch erwähnt – was dem Wesen von WissenschaftlerInnen entspricht, auch über Dinge zu schreiben, die sie nicht selbst erfunden haben.

 

Tatsache ist, dass die Phantasie plötzlich damit begann, sich von den in ihrer Phantasie erfundenen Dingen langsam zu verabschieden. Musste es morgen immer ein ofenfrisches Croissant sein? Ein einfaches Wurstbrot tat es wohl auch, der Vormittags-Champagner konnte durch einen Prosecco und das Mittagessen durch eine Pasta Asciutta ersetzt werden, der Rothschildwein durch ein Glas Chianti und alles blieb trotzdem im „grünen Bereich“. Der nächste Schritt bestand darin, sich das Wurstbrot wegzudenken, den Prosecco durch ein paar Wassertropfen zu ersetzen und das Mittagsmenu durch zwei in den schwarzen Rahmen hinein gestellte Spaghetti anzudeuten. Schließlich gelang ihr die perfekte Abstraktion, alle diese unnotwendigen Dinge überhaupt wegzulassen und sich in den schwarzen Rahmen ein weißes Blatt Papier hinein zu denken – die Kunst der Abstraktion war ihr hiermit endgültig gelungen. Einzig bei ihren Abend- bzw. Nachtphantasien kannte sie keine Kompromisse, da diese Vorstellungen jedoch nicht jugendfrei waren und sie wegen des Einbruchs der Nacht auch niemand sehen konnte, zeigte sie ihren Freundinnen und Freunden nur die Ergebnisse ihrer Tagesarbeit und war etwas verwundert, dass diese Arbeiten keinerlei positive Reaktionen bei ihren besten Freundinnen und Freunden auslösten – alle stellten nur lakonisch fest, dass sie nichts, aber auch gar nichts erkennen konnten.

 

Auch zum Verständnis der abstrakten Kunst bedarf es offenbar einer nicht zu unterschätzenden Phantasie.

 

 

(Version 2.9.2013)

 

 

 

 

 

 

 

 

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